Montag, 19.12.2011 18.00 Uhr
,,Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden", so formulierte Fritz Bauer seine Überzeugung. Wenn die junge deutsche Demokratie dauerhaft Freiheit und Gerechtigkeit garantieren soll, muss sie ihre Vergangenheit bewältigen. Aufsätze und Reden mit Titeln wie ,,Mörder unter uns" und ,,Am Ende waren die Gaskammern" erregten nicht nur rechtsradikale Kritik, sondern in den 50er und 60er Jahren auch in der Mitte der vergangenheitsmüden Gesellschaft Anstoß. Antisemitische und politische Anfeindungen begleiteten das Leben des Remigranten aus Schwaben. Seine Position in der restaurativen bundesdeutschen Justiz beschrieb er bald als ,,Exil" und seine Umgebung empfand er immer mehr als ,,feindliches Ausland". Durch sein vielfach provozierendes Auftreten so redete er einmal Strafgefangene mit ,,Meine Kameraden" an und durch seine Härte gegenüber NS- Verbrechen wurde Bauer im restaurativen Klima der Adenauer-Ära zur ,,Provokation für den Zeitgeist". Fritz Bauer war der wohl profilierteste Staatsanwalt, den die Bundesrepublik je hatte. Er sah sich in der Tradition Gustav Radbruchs als ,,Jurist aus Freiheitssinn", glaubte, dass ,,Unruhe die erste Bürgerpflicht" sei und war davon überzeugt, dass der Bürger nicht nur ein Widerstandsrecht gegen Willkürakte des Staates habe, sondern dass dieser Widerstand in der Diktatur geradezu zur Pflicht würde. Hierfür stritt er als Generalstaatsanwalt von Niedersachsen in einem Aufsehen erregenden Prozess in Braunschweig (1952/53), in dem es um die rechtliche Bewertung des Putsches vom 20. Juli 1944 ging. Indem Bauer die Rehabilitierung der hingerichteten Hitler-Verschwörer erreichte - erstmalig in Deutschland bei dem der NS-Staat im Sinne seiner Anklage zum Unrechtstaat erklärt wurde heute common sense - war er ein Pionier modernen ,,zivilgesellschaftlichen" Denkens. Mit derselben Zielgerichtetheit hat er die Aufhellung und Ahndung der NS-Verbrechen in Gang gesetzt. Als hessischer Generalstaatsanwalt (1956 1968) war er der Initiator des Frankfurter Auschwitz- Prozesses, der die angebliche ,,Auschwitz-Lüge" nicht mehr haltbar machte. Da er Zweifel hegte, dass die deutsche Justiz nachdrücklich genug Eichmanns Auslieferung fordern und ihn konsequent wegen Mordes in vielen tausend Fällen anklagen würde, verriet er den Aufenthaltsort des berüchtigten ,,Buchhalters der Endlösung" an den israelischen Geheimdienst, damit Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte. So kam es mit Bauers Hilfe zu ,,Eichmann in Jerusalem". Hannah Arendts Buch über die Banalität des Bösen war ein weiteres Ergebnis. Während seiner Amtszeit hat Bauer zudem zahlreiche Reformen vorangetrieben, darunter die Reform des Strafvollzugs und des Sexualparagraphen. Beider Humanisierung gehörte für ihn zu einer humanen Gesellschaft. Ein schwerer Schlag war für Bauer die Verabschiedung der Notstandsgesetze im Mai 1968. Er sah sie als eine irreparable Wende zum autoritären Staat an. Am 30. Juni 1968 wird Fritz Bauer tot in seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Schnell standen Theorien im Raum, die sich um Alt-Nazis und die Rolle von Geheimdiensten rankten. Und wenn auch kurz darauf ein natürlicher Tod Bauers im Sinne der Rechtsprechung amtlich festgestellt wurde (es fand keine äußere Gewaltanwendung statt), geben die Umstände seines Todes Rätsel auf: Die leergeräumte Wohnung, das Auffinden in der Badewanne, der Inhalt seines Magens, den die polizeiliche Obduktion festhält. Trotz dieser Umstände wird eine Obduktion nach der Strafprozessordnung nicht angeordnet. In Form eines filmischen Mosaiks montiert die Regisseurin Archivmaterial, Aussagen von Bauers Freunde, Verwandten und Mitstreitern. Das Rückgrat und damit der Standpunkt des Films sind Ausschnitte aus einem Auftritt Fritz Bauers in der HR-Talkshow ,,Heute Abend Kellerklub" von 1964, wo der Generalstaatsanwalt das Credo seines Wirkens verkündet. Um die einzelnen Aussagen rankt sich die spannende Handlung eines beeindruckenden Lebens und das eindrucksvolle Wirkungsporträt des wichtigsten Demokraten und Juristen im Nachkriegsdeutschland, dessen Bedeutung für die Aufarbeitung der NS-Zeit, für die Rechtsgeschichte der Nachkriegszeit und für die politische Kultur eines demokratischen Deutschlands immens ist.
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