Samstag, 06.09.2014 14.00 Uhr
Schlossplatz Schwetzingen
Die Lebensbedingungen von Menschen, die vor Verfolgung und Not in die BRD geflüchtet sind und einen Asylantrag gestellt haben, sind katastrophal. Ständig wird ihre Situation durch neue Gesetze verschärft. Mit einem neuen Gesetz, über das am 19. September 2014 entschieden wird, soll Roma aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina jegliche Fluchtmöglichkeit genommen werden, obwohl sie in diesen Staaten massiven Diskriminierungen und tätlichen Angriffen ausgesetzt sind.
Seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1993 hat sich die Situation der hierher Geflüchteten weiter verschärft. Die Unterbringung in überfüllten Lagern mit schikanösen Haus- und Besuchsordnungen und oftmals gefängnishaftem Charakter dient allein der Abschreckung. So begründete Lothar Späth (CDU) Ende der 1980er Jahre die kostspielige Unterbringungspolitik mit dem offen rassistischen Statement: "Die Buschtrommeln sollen schon in Afrika signalisieren: Kommt nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager". Dieses baden-württembergische Modell wird nun praktisch überall angewandt. Die meist katastrophalen sanitären Zustände in diesen Einrichtungen, die zu Depressionen führende erzwungene Untätigkeit und die Konflikte verursachende Überbelegung sollen die traumatisierten Geflüchteten aus der BRD vertreiben. Weitere Schikanen, um den vor Verfolgung, Krieg und Not hierher Geflohenen das Leben möglichst schwer zu machen, sind die minimale Versorgung mit willkürlich zusammengestellten Lebensmittelpaketen oder -gutscheinen statt Bargeld, so dass ihnen die Verfügungsmöglichkeiten sogar über ihre Essensgewohnheiten genommen sind. Ärztliche Versorgung jenseits lebensrettender Erstmaßnahmen oder gar psychologische Betreuung für die Asylstellenden sind nicht vorgesehen. Parallel dazu leben die Menschen mit der ständigen Angst vor Abschiebung, die für viele von ihnen verschärfte Verfolgung oder sogar den Tod bedeuten kann. Die räumliche Abgelegenheit und Abgeschottetheit der Massenunterkünfte sollen ebenso wie die Bargeldlosigkeit die Teilnahme der Geflüchteten am normalen gesellschaftlichen Leben verhindern. Gegen diese gezielte Repression gegen Menschen formiert sich seit langem antirassistischer Widerstand. In den letzten Jahren schlossen sich auch die Betroffenen selbst in größerem Maße zusammen: viele Geflüchtete organisierten sich zu Protestmärschen und Besetzungen, bei denen sie ihre prekäre Lebenssituation thematisierten. Teilweise konnte damit das Bleiberecht für größere Gruppen erwirkt werden, oder die Proteste führten zu dauerhaften Reformen, etwa zur Aufhebung bzw. Lockerung der Residenzpflicht in den meisten Bundesländern. Diese verpflichtete die Geflüchteten dazu, in einem bestimmten Landkreis zu bleiben, so dass Besuche bei FreundInnen oder Verwandten in anderen Regionen strafbar waren.
Doch diese kleinen Erfolge dürfen nicht über die weitere Verschärfung der Situation hinwegtäuschen: mit hohem technischen Aufwand und militärischem Equipment werden die Außengrenzen der "Festung Europa" gegen flüchtende Menschen hermetisch abgeriegelt. Außereuropäische Staaten werden zur brutalen Zurückschlagung der Durchreisenden verpflichtet. Mit meterhohen Zäunen und schwer bewaffneten Grenzpatrouillen wird der Landweg unpassierbar gemacht. Jährlich sterben Tausende beim Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Bei allen Betroffenheitsbekundungen seitens der PolitikerInnen darf nicht vergessen werden, dass alle legalen Einreisemöglichkeiten absichtlich blockiert und die Route über den Seeweg die einzige verbleibende Option ist. Es handelt sich faktisch um eine gezielte Bekämpfung dieser Menschen, die die katastrophalen Umstände in ihren Herkunftsländern zur Flucht gezwungen haben.
Ein wichtiger Schritt dabei ist die Erklärung von benachbarten Ländern, die auf dem Reiseweg der Flüchtenden liegen, zu so genannten sicheren Drittstaaten. Damit können Menschen, die trotz aller Abschirmungsmaßnahmen die BRD erreichen, direkt in diese Durchreiseländer abgeschoben werden.
Eine ähnliche Taktik verfolgt die Auszeichnung von Ländern als "sichere Herkunftsländer": mit dieser Deklaration wird das jeweilige Land zur verfolgungsfreien Zone erklärt und Asylanträge von Menschen, die von dort in die BRD geflohen sind, pauschal abgelehnt. Diese Regelung soll nun gezielt gegen Roma angewandt werden: in vielen Staaten sehen sich Angehörige dieser Gruppe seit Jahrhunderten Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Besonders brutal stellt sich ihre Lebenssituation in vielen osteuropäischen Ländern dar, wo es immer wieder zu antiziganistischen Übergriffen und pogromartigen Attacken kommt. Systematisch werden Roma von jeglicher Teilhabe an der gesellschaftlichen Normalität ausgegrenzt. Roma werden zwangsweise in Slums, die oftmals am Rand von Müllkippen oder anderen gesundheitsgefährdenden Gebieten liegen, untergebracht. Bessere Jobs und Verdienstmöglichkeiten sind ihnen praktisch verwehrt, weshalb Armut und Arbeitslosigkeit zum Standard gehören. Kindern wird der Schulbesuch faktisch unmöglich gemacht, so dass sich der Kreislauf fortsetzt. Gesellschaftliche Unzufriedenheit wird von konservativen und rechtspopulistischen Strömungen gezielt in antiziganistische Vorurteile und rassistische Angriffe gelenkt, so dass sich die Roma in diesen Staaten dauernder Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sehen.
Viele Roma sind vor diesen Lebensbedingungen in den letzten Jahren in die BRD geflohen, auch wenn sie hier ebenfalls massiv ausgegrenzt werden. Nun soll die Möglichkeit, Asylanträge zu stellen, ihnen prinzipiell verwehrt werden: die Bundesregierung will Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklären und ignoriert damit alle Berichte von Menschenrechtsorganisationen über die Situation der dortigen Roma sowie anderer marginalisierter Gruppen. Im Windschatten der WM wurde das Gesetz durch den Bundestag gepeitscht, doch im Bundesrat zunächst gestoppt, da einige Bundesländer ihre Zustimmung verweigerten. Am 19. September soll erneut über das Gesetz abgestimmt werden, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird es diesmal angenommen.
Es ist besonders dreist, dass gerade Roma damit erneut von deutschen Gesetzen verfolgt werden. Im Nationalsozialismus wurden etwa 500.000 Sinti und Roma von den Deutschen ermordet, und die systematischen Diskriminierungen gegen diese Gruppen setzten sich auch nach 1945 fort. Während die Bundesregierung Waffenexporte und Kriegseinsätze in allen Kontinenten mit der "besonderen Verantwortung", die durch den fabrikmäßigen Mord an jüdischen Menschen, Sinti und Roma erwachsen ist, rechtfertigt, werden die eigentlichen Opfer weiterhin mit Füßen getreten. Dass es sich bei den aus Osteuropa vor Verfolgung hierher Geflohenen um die Überlebenden der nationalsozialistischen Mordpolitik und ihre Nachkommen handelt, wird geflissentlich übersehen - in diesem Fall gibt es offenbar keine "besondere Verantwortung".
Wir dürfen nicht zulassen, dass den Roma mit diesem Gesetz jegliche Möglichkeit, in die BRD zu fliehen, genommen wird. Wir fordern freie Einreisemöglichkeiten für alle Roma. Wir fordern menschenwürdige Unterbringung und ein selbstbestimmtes Leben für alle Geflüchteten.
Wir fordern ein Ende der militärischen Bekämpfung der Geflüchteten an den Außengrenzen der "Festung Europa".
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