Dienstag, 07.04.2009 17.05 Uhr
SWR2 (UKW 88.8)
Gesprächsleitung: Eberhard Reuß Es diskutieren: Prof. Dr. Johannes Fried, Mediävist, Goethe-Universität Frankfurt; Prof. Dr. Stefan Weinfurter, Mediävist, Universität Heidelberg; Prof. Dr. Alfried Wieczorek, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn- Museen, Mannheim
Geschichtswissenschaft liefert Gewissheiten - lautet das hartnäckige Vorurteil. Doch vieles, was als "historisch" gilt, ist nur Legende. Jüngstes Beispiel: Der berühmte "Gang nach Canossa", Höhepunkt des Investiturstreits. Die meisten sind der Ansicht, der exkommunizierte deutsche König und spätere Kaiser Heinrich IV. sei im Januar 1077 nach Oberitalien gezogen, um sich Papst Gregor VII. auf der Burg Canossa zu unterwerfen. Der "Gang nach Canossa" - das buchstäbliche "zu Kreuze kriechen", der Prototyp der Unterwerfungsgeste. So ist das Ereignis in den Sprachgebrauch eingegangen. Der Frankfurter Mediävist Johannes Fried dagegen behauptet, dies entspreche nicht den historischen Tatsachen. König und Papst trafen sich vielmehr, um einen Vertrag zu besiegeln. König Heinrich, der vermeintlich Unterlegene im Büßergewand, hat davon stark profitiert. Papst Gregor, der vermeintliche Sieger des Treffens, wurde dadurch stark geschwächt. Dennoch wird die Story anders erzählt. Ist der "Gang nach Canossa" somit Propaganda: eine Legende im Interesse der Mächtigen? Beruht Macht immer auf einseitiger Geschichtsschreibung, wie schon im biblischen Bericht über König David oder später bei der Inszenierung absolutistischer Könige und totalitärer Herrscher? Können Demokratien auf solche Erzählungen verzichten?
Buch-Tipp: Johannes Fried: Das Mittelalter - Geschichte und Kultur, C.H. Beck Verlag, 29,90 Euro; Johannes Fried: Der Schleier der Erinnerung - Grundzüge einer historischen Memorik, C.H. Beck Verlag, 39,90; Stefan Heym: Der König David Bericht, btb Verlag, 9,90 Euro
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