...vor 55 Jahren – 9.3.1966:
In Münster stirbt der Mediziner Ferdinand Adalbert Kehrer als Emeritus und mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Kehrer hatte im ersten Weltkrieg traumatisierte Soldaten durch Elektroschocks und Dauermarschieren therapiert – Zitat von 1917: „Sicherlich wohl die unmittelbarste, straffste und tiefgehendste Form der Einwirkung auf den Willen stellt die Methode des Gewalt- oder Zwangsexerzierens dar. Was wir [vorher] über viele Tage oder Wochen vielleicht bis zu vollem Erfolge erreichen, leistet das Gewaltexerzieren in Minuten bis höchstens Stunden.“ Später betrieb er massiv Euthanasieprogramme und war ärztlicher Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht in Hamm.
Krisenzeiten sind Hochzeiten verkürzter Kapitalismuskritik. Zu deren Evergreens gehört die Vorstellung, der Zins sei das gesellschaftliche Urübel und der Königsweg zu einer besseren Welt führe über dessen Beseitigung. Der deutsch-argentische Kaufmann Silvio Gesell hat vor rund 100 Jahren ein Konzept eines vom Zins befreiten Geldes entwickelt, das heute vor allem in der Gestalt von Regionalwährungen wieder als Ei des Kolumbus verkauft wird. „Geld muss rosten“, auf dass es seine wahre Bestimmung als Tauschmittel erfüllt, statt zum Selbstzweck zu entarten. Was ist von solchen Modellen zu halten? Warum ist deren Zählebigkeit und Popularität vom Standpunkt der Kritik der Politischen Ökonomie aus gar nicht so überraschend? Welche gesellschaftliche Bedeutung kommt solchen Ideen heute zu?
Ernst Lohoff, Jahrgang 1960 , lebt als freier Publizist und Redakteur der Theoriezeitschrift „Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft“ in Nürnberg. Er veröffentlichte zusammen mit Norbert Trenkle „Die Große Entwertung“ (2012) und schreibt derzeit an einem Buch zur Zinskritik.
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