Kundgebung/Infostand: „Keine Anerkennung des Staatstreichs in Bolivien – Schluss mit der westlichen „Regime Change“-Politik“

internationales 

Samstag, 23.11.2019 12.00 Uhr

[M]Zeitungsleser, St. Anna-Gasse

Nach dem Meutern der Polizei und auf Druck der Armee erklärte der bolivianische Präsident Evo Morales am 10. November seinen Rücktritt. Um nicht das Schicksal von Salvador Allende (1972 in Chile) zu erleiden, lies er sich nach Mexiko evakuieren. Vorausgegangen waren eskalierende gewalttätige Unruhen nach umstrittenen Wahlen, bei denen die Polizei zusah, wie Regierungsgebäude und Häuser von Mitgliedern des Regierungsbündnisses MAS von Regierungsgegnern angegriffen und in Brand gesetzt wurden. Rassistische, Ku-Klux-Klan ähnliche Schlägertrupps machten vor allem Jagd auf indigene Anhänger des Präsidenten.

Geplanter Umsturz

Nach den Präsidentenwahlen am 20. Oktober hatten sich Proteste am Vorwurf der Wahlmanipulation entzündet. Dieser wird auch in westlichen Medien mit einem späten Sprung des Stimmenvorsprungs von Morales von 9% über die 10 Prozent-Marke, die für einen Sieg ohne Stichwahl nötig sind, begründet, der erst nach einer verdächtigen Unterbrechung der Schnellauszählung verkündet worden war.

Die Eskalation der Proteste zu gewaltsamen Unruhen war aber, wie kürzlich veröffentliche Mitschnitte der Kommunikation zwischen den Putschisten, der ultrarechten Regierung Brasiliens und der Trump-Administration belegen, schon Wochen vorher geplant worden. Der Umsturz wurde von den USA und Brasilien auch aktiv unterstützt. Er reiht sich daher ein, in das Vorgehen gegen Nicaragua und Venezuela.

Keine Belege für Wahlfälschung

Stichhaltige Beweise für eine Wahlmanipulation wurden bisher nicht vorgelegt. Ungeklärt ist, warum die Wahlkommission die Schnellauszählung, die nur der Verkündigung von Hochrechnungen dient, 20 Stunden lang unterbrach. Einfluss auf die davon unabhängige eigentliche Auszählung und das Endergebnis hatte dies jedoch nicht. Die von Morales eingeschaltete, von den USA dominierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) fand ‒ entgegen anderslautender Schlagzeilen ‒ keine Belege für systematischen Betrug. Sie fand lediglich in 78 von 34.555 Ergebnisprotokollen Unregelmäßigkeiten. Zwei unabhängige Untersuchungen, eine vom re-nommierten US-amerika¬nischen Experten für Wahl¬betrug, Walter Mebane sowie eine vom Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington, kamen zum Schluss, dass sich die Unregelmäßigkeiten nicht wesentlich von den Mustern unterscheiden, die z.B. bei Wahlen in Österreich oder Wisconsin beobachtet wurden. Selbst, wenn man die betroffenen Stimmen herausrechnet, bleibt Morales noch ein Vorsprung von mehr als zehn Prozent.

Für die rechte Opposition und ihre ausländischen Unterstützer spielt dies keine Rolle. Es ging ihnen nicht um Wahlmanipulationen, sie wollten einen Umsturz. Morales Angebot von Neuwahlen wurde daher ausgeschlagen.

Politik gegen Armut und für Souveränität störte ausländische Interessen

Morales, der erste indigene Präsident des Landes, hatte dem Andenland eine ungewöhnlich lange Periode politischer Stabilität und wirtschaftlichen Wachstums beschert. Die Armut wurde drastisch reduziert und insbesondere die Situation der jahrhundertelang diskriminierten indigenen Bevölkerung ‒ mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ‒ massiv verbessert. Da seine Regierung ausländischen Investoren oft freundlich entgegenkam, wurde dies auch im Westen anerkannt. Doch sie lieferte die Bodenschätze des Landes den ausländischen Großkonzernen nicht vorbehaltlos aus. So war der geplante Einstieg des deutschen Unternehmen ACI-Systems in die Lithium-Gewinnung am 3. November auf Druck indigener Bewegungen gestoppt worden, weil ACIS die Verarbeitung des Lithiums nicht mehr wie versprochen in Bolivien durchführen wollte. Alle Bodenschätze wurden 2006 nationalisiert, darunter auch die weltweit größten Vorkommen des begehrten Lithiums ‒ für Washington und seine europäischen Verbündeten kaum zu akzeptieren.

Treibende Kräfte hinter dem Umsturz im Land selbst sind vor allem weitgehend weiße, wohlhabende Kreise aus dem bolivianischen Tiefland – nicht zuletzt Großgrundbesitzer, denen die Umverteilung zugunsten der verachteten armen indigenen Bevölkerung, wie auch die Verstaatlichung der Bodenschätze, seit je ein Dorn im Auge war.

Internationale Verurteilung des Putsches …

International traf der erzwungene Rücktritt auf heftigen Protest, u.a. vom designierten argentinischen Präsident Alberto Fernández, der den Umsturz ausdrücklich als Putsch bezeichnete, wie auch die Regierung von Uruguay. Diese zeigte sich zudem „bestürzt über den Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit, der in Bolivien herbeigeführt wurde, den Rücktritt des Präsidenten erzwang und das Land in Chaos und Gewalt treibt”. Es gebe kein Argument, das diese Handlungen rechtfertigen könnte, zumal nachdem Morales Neuwahlen einberufen hatte.

… aber Unterstützung aus Berlin

Die Bundesregierung, wie auch die meisten deutschen Medien, begrüßten den Staatsstreich. Der erzwungene Rücktritt des Präsidenten sei ein „wichtiger Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, der sich damit hinter das bolivianische Militär stellte. Interimsregierung ohne Legitimation

Man kann die Rechtmäßigkeit von Morales erneuter Kandidatur anzweifeln, nachdem das Referendum über eine Verfassungsänderung, die eine weitere Wiederwahl vorsah, gescheitert war. Doch das oberste Gericht im Lande ließ sie zu und auch die deutsche Kanzlerin kandidierte bereits viermal. Letztlich entscheiden die Wähler. Und da Morales die Wahl mit klarem Vorsprung gewann, haben seine Gegner auf keinen Fall das Recht, sich die Regierungsgewalt anzueignen.

Das Parlament in Bolivien hat den erzwungenen Rücktritt von Morales nicht anerkannt und eine neue Senatspräsidentin gewählt. Laut Verfassung müsste sie seine Vertretung oder ggbf. Nachfolge übernehmen. Die Selbsternennung von Jeanine Añez zur Interimspräsidentin ist rechtswidrig.

Dieser Putsch ist ein Anschlag auf Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Unabhängigkeit in Lateinamerika. Alle sozialen Errungenschaften und die kulturellen Rechte der indigenen Bevölkerung, die unter der Präsidentschaft von Evo Morales geschaffen wurden, stehen jetzt auf dem Spiel.

In dem Maße wie die Proteste gegen den Putsch stärker und heftiger werden, verschärfen Militär und Polizei auch die Repression. Die neue Machthaberin Añez hat sie per Dekret „von strafrechtlicher Verantwortung befreit“ und ihnen somit faktisch eine Lizenz zum Töten gegeben. Am Tag zuvor waren bereits 9 Demonstranten erschossen worden. Es drohen bürgerkriegsähnliche Zustände und eine Militärdiktatur.

Wir fordern deshalb von der Bundesregierung:

  • die Verurteilung des Staatstreiches
  • keine Anerkennung der illegitimen Übergangsregierung oder sonstige Unterstützung des Putsches
  • das Eintreten für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und eine politische Lösung des Konflikts um die Präsidentenwahlen
Veranstalter:
Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg , DKP Heidelberg, Freidenker Heidelberg, Nicaragua-Forum Heidelberg

Langtexte kommen meist von den VeranstalterInnen. Das Sozialforum ist hier nur Bote.