Pädagogik als Normalisierungsmacht: über die (Re-)Produktion gefährlicher und gefährdeter Körper

lehramt  politik  uni  ustaph 

Mittwoch, 30.11.2016 18.00 Uhr

Altbau der Pädagogischen Hochschule (PH, Keplerstraße 87), Raum 209

Vortrag von Dr. Christian Grabau

Der Vortrag schlägt vor, die Geschichte moderner Pädagogik durch die Brille Michel Foucaults zu betrachten und auf diese Weise einer ihrer ‚dunklen‘, oft heruntergespielten Seiten nachzuspüren. Seit ihren Anfängen im ausgehenden 18. Jahrhundert erweist sich Pädagogik immer wieder als Normalisierungsinstanz biopolitischer Deutungsmuster und bevölkerungspolitischer Ambitionen. Es geht um die verwickelten Wege „von der Last der Erbsünde zur Bürde des Erbguts“ (Käte Meyer-Drawe), welche Pädagogik mitgestaltet, indem sie den Zögling als Beobachtungsgegenstand modelliert und zum Geständnis anhält. Kinder und Jugendliche wollen zuletzt das, was sie sollen. Lustvoll gestehen sie Verfehlungen, die Pädagog*innen und Mediziner*innen zunächst als Laster und später als Zeichen genetischer Minderwertigkeit deuten. Damit gerät eine Macht in den Fokus der Aufmerksamkeit, die nicht bloß unterdrückt, sondern unterstützt, die nicht bloß verhindert, sondern hervorbringt; die nicht laut droht, sondern leise Handlungsfelder strukturiert, Hauptverkehrswege bahnt und Nebenstrecken verkommen lässt. Der Vortrag wird den Überschneidungen von Aufklärungspädagogik und Bevölkerungspolitik ebenso nachgehen wie den Verstrickungen reformpädagogischer Ansätze – wie etwa denen Ellen Keys oder Maria Montessoris – mit eugenischen Denkmustern und biopolitischen Züchtungsvisionen. Diskutiert werden soll auch, inwiefern die vorgeschlagene Perspektive eine Relevanz für gegenwärtige Fragen hat und einen anderen Blick auf pädagogische Topoi wie zum Beispiel das ‚selbstregulierte Lernen‘ oder ‚Heterogenität‘ erlaubt. Ein Verdacht lautet dabei, dass insbesondere in der emphatischen Rede von Selbstorganisation stets eine Drohung mitschwingt, die solche Subjekte im Blick hat, welche den Anforderungen nicht gewachsen scheinen. Pädagogische Diskurse und Praktiken produzieren auf diese Weise immer auch unfähige, erschöpfte, gefährdete und gefährliche Körper und Subjekte.

Christian Grabau, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Allgemeine Pädagogik an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seine Promotion ist unter dem Titel „Leben machen. Pädagogik und Biomacht“ im Wilhelm Fink Verlag veröffentlicht worden. In Kürze erscheint im VS-Verlag der von ihm zusammen mit Markus Rieger-Ladich herausgegebene Sammelband „Pierre Bourdieu: Pädagogische Lektüren“.

Langtexte kommen meist von den VeranstalterInnen. Das Sozialforum ist hier nur Bote.